Mittwoch, 6. Juni 2012

NABU newsletter

Berlin, 06. Juni 2012

Sehr geehrte Damen und Herren,

alles neu macht der Mai? Die Turbulenzen um die Wahlniederlage der CDU in Nordrhein-Westfalen brachten auch einen neuen Bundesumweltminister ins Amt: Peter Altmaier hat die Umsetzung der Energiewende zu seiner Priorität für die verbleibende Zeit bis zur nächsten Bundestagswahl im Herbst 2013 erklärt und strebt einen nationalen Energiekonsens unter anderem auch im Dialog mit den Umweltverbänden und der Wirtschaft an - eine gewaltige Herausforderung angesichts der sehr unterschiedlichen Vorstellungen, wie diese Energiezukunft konkret aussehen soll und wie der Übergang dorthin gestaltet werden kann. Ein erster Prüfstein wird die Debatte darüber sein, wo wir welche Netzausbaumaßnahmen zur Umsetzung der Energiewende benötigen. Letztendlich muss auch der Bundestag seine Prioritäten deutlich machen, wie das Ausmaß insbesondere der neu geplanten Stromtrassen begrenzt werden kann.

International richten sich im Juni alle Augen auf die Nachhaltigkeitskonferenz der Vereinten Nationen in Rio de Janeiro: Trotz der berechtigten Kritik an den mutlosen Verhandlungen im Vorfeld steht für den NABU fest, dass in Rio alle vorhandenen Chancen genutzt werden müssen, den institutionellen Rahmen für eine globale Nachhaltigkeitspolitik zu verbessern und neue Rahmenbedingungen für eine "Green and Fair Economy" zu vereinbaren. Dabei gilt es zu verhindern, dass ökologisch, sozial und ökonomisch nicht zukunftsfähige Entwicklungspfade einfach ein grünes Deckmäntelchen umgehangen bekommen. Die UN-Mitgliedsstaaten müssen in Rio der großen Versuchung eines "Greenwashings" widerstehen, um eigene Versäumnisse und Defizite in der Nachhaltigkeitspolitik zu verstecken.

Außerdem führen wir - beginnend mit dieser Ausgabe des Umweltpolitik-Newsletter - die NABU-Zahl des Monats ein. Sie stellt einmal monatlich einen interessanten statistischen Aspekt aus unseren Arbeitsbereichen des Umwelt- und Naturschutzes vor.

Eine anregende Lektüre unseres NABU-Newsletters Umweltpolitik wünscht Ihnen

Ihr Leif Miller
NABU-Bundesgeschäftsführer

Inhalt

1. UN-Nachhaltigkeitskonferenz Rio 20plus muss Übernutzung natürlicher Ressourcen eindämmen
2. Natura 2000 darf nicht zum Papiertiger verkommen
3. Wort halten, Wertstoffgesetz einführen!
4. Zukunft gestalten im Kommunalwald
5. Vernetztes Land für die Energiewende
6. Europäische Einigung über neue Schwefelgrenzwerte für Schiffstreibstoffe erzielt

NABU-Zahl des Monats Juni: 570 Quadratmeter Landschaftsverbrauch in der Minute


Aktuelle Terminhinweise

Die Flächensparer: NABU-Fachtagung des REFINA-Forschungsprojekts am 28. und 29. Juni 2012 in Berlin
Programm und Anmeldung


1. UN-Nachhaltigkeitskonferenz Rio 20plus muss Übernutzung natürlicher Ressourcen eindämmen

Zwanzig Jahre nach dem ersten Erdgipfel der Vereinten Nationen im Jahr 1992 findet vom 20. bis 22. Juni 2012 in Rio de Janeiro erneut eine Weltkonferenz zur Nachhaltigen Entwicklung statt. Unter dem Leitthema einer "Green Economy" sollen neue Rahmenbedingungen für die globalisierte Wirtschaft ausgehandelt werden, damit die weltweit verbreitete Ausbeutung und Übernutzung von natürlichen Ressourcen begrenzt werden kann. Angesicht der schleppenden Verhandlungen und des offenkundigen Desinteresses vieler Staats- und Regierungschefs an der Rio+20-Konferenz werden Zweifel am Gelingen einer ernsthaften Kehrtwende in Richtung ökologisch und sozial verträglicher Wirtschaftsweisen immer größer.

Eine effektive Nachhaltigkeitspolitik braucht einen institutionellen Rahmen auch auf internationaler Ebene, um die Umsetzung der vereinbarten Ziele im Anschluss an die großen Gipfeltreffen besser zu steuern, zu überwachen und weiter zu entwickeln. Der NABU begrüßt deshalb die Vorschläge einer Aufwertung des Umweltprogramms der Vereinten Nationen in Nairobi und die Einrichtung eines Nachhaltigkeitsrates bei der UN-Generalversammlung in New York. Außerdem fordert der NABU, sich in den Rio-Verhandlungen auf fünf Schwerpunktthemen zu konzentrieren: Sicherung einer nachhaltigen Energieversorgung (Sustainable Energy for All Initiative), Sicherung der Welternährung und nachhaltige Landnutzung, Ressourcenschonung durch Abfallvermeidung und Schließen von Stoffkreisläufen (Zero Waste Economy), den Stopp der Entwaldung und den Schutz der marinen Ökosysteme. Darüber hinaus muss ein verbindlicher Prozess im Anschluss an den Gipfel vereinbart werden, der die von der Europäischen Union geforderten Green Economy Roadmap mit der Weiterentwicklung der Millenium Development Goals zu Sustainable Development Goals verknüpft und der zeitnah im Anschluss an die Rio-Konferenz startet.

NABU-Präsident Olaf Tschimpke nimmt in seiner Funktion als stellvertretender Vorsitzender des Rates für Nachhaltige Entwicklung und als Mitglied der deutschen Regierungsdelegation an der Rio-20plus-Konferenz teil. Im Vorfeld hat der NABU seine Erwartungen und Forderungen an den Nachhaltigkeitsgipfel der Vereinten Nationen in einem Hintergrundpapier zusammengestellt.

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2. Natura 2000 darf nicht zum Papiertiger verkommen

Zum 20-jährigen Bestehen des europäischen Schutzgebietsnetzwerks Natura 2000 lud der NABU am 21. Mai zu einem hochrangig besetzten "Natura-2000-Gipfel" ein und zog Bilanz. Das Netzwerk, das mit Verabschiedung der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH) der Europäischen Union am 21. Mai 1992 seine Geburtsstunde feierte, stellt heute fast ein Fünftel der Landfläche der EU unter Schutz - das entspricht in etwa der doppelten Fläche Deutschlands. Doch gerade in Deutschland, wo die Gesamtfläche der Schutzgebiete mit gut 15 Prozent weit unter dem EU-Durchschnitt von knapp zwanzig Prozent liegt, fehlt es vielerorts an verbindlichen Schutzverordnungen und Managementplänen. Zahlreiche Flächen sind durch unzulässige Eingriffe zum Beispiel durch eine intensivierte Land- und Forstwirtschaft bedroht. Im Rahmen der Veranstaltung würdigte der NABU gemeinsam mit Vertretern der Europäischen Kommission, des Europäischen Parlamentes, der Bundesregierung und Vertretern aus den Umweltministerien der Bundesländer Erfolge des Netzwerks, mahnte aber auch die fehlende Umsetzung und unzureichende Finanzierung an.

Zudem stellte der NABU erste Ergebnisse einer Studie vor, die den Verlust von wertvollen Grünlandflächen in Natura-2000-Gebieten belegt. Daten aus FFH-Gebieten in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz zeigen: Innerhalb von fünf Jahren gingen in beiden Ländern durchschnittlich 36 Prozent Grünland in den untersuchten Schutzgebieten verloren, im FFH-Gebiet "Blumberger Pforte und Mittlere Wutach" in Baden-Württemberg sogar 76 Prozent. Die Gründe dafür liegen vor allem in der Intensivierung, Beweidung und Umwandlung der Grünflächen in Ackerland. Auch in Norddeutschlands Vogelschutzgebieten werden ähnliche Verluste registriert. So ist in Niedersachsen der Anteil an Grünland in den EU-Vogelschutzgebieten in den vergangenen zwölf Jahren um 31 Prozent gesunken. Wiesen und Weiden sind als Lebensraum für Uferschnepfe, Bekassine, Kiebitz und andere Wiesenbrüter unersetzlich, doch vielerorts werden sie selbst innerhalb von Schutzgebieten in Äcker umgewandelt.

Von der Bundesregierung fordert der NABU, sich bei den derzeit laufenden Haushaltsverhandlungen der EU für eine ausreichende Finanzierung des Natura-2000-Netzwerks stark zu machen.

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3. Wort halten, Wertstoffgesetz einführen!

Im Mai 2012 wurden beim Umweltbundesamt in Dessau die Empfehlungen zur Fortentwicklung der Recyclingziele für Wertstoffe vorgestellt. Damit ist nun der Weg für ein deutsches Wertstoffgesetz frei, das die bisherige Verpackungsverordnung ablösen soll. Der neue Bundesumweltminister Peter Altmaier könnte mit der Vorlage eines Gesetzesentwurfs gleich doppelt beweisen, dass Politik Wort halten kann und wichtige Umweltziele nicht aus den Augen verliert. Denn einerseits steht das Vorhaben im Koalitionsvertrag der schwarz-gelben Bundesregierung, andererseits ist das Wertstoffgesetz ein wesentlicher Beitrag dazu, die Ziele des deutschen Ressourceneffizienzprogramms ProgRess zu erfüllen.

In der Wertstofftonne sollen neben Verpackungen auch alle anderen Kunststoffe und Metalle gesammelt werden. Damit wird Mülltrennung für die Verbraucher in Deutschland einfacher und mehr Recycling möglich. Der NABU unterstützt die jetzt vom Öko-Institut und der HTP Ingenieurgesellschaft für Umweltverfahrenstechnik entwickelten Vorschläge für ambitionierte Verwertungsquoten und drängt auf eine zeitnahe Umsetzung, auch wenn einzelne Branchenverbände offenbar das Vorhaben eines Wertstoffgesetzes weiter verzögern wollen.

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4. Zukunft gestalten im Kommunalwald

Der NABU und der Gemeinsame Forstausschuss "Deutscher Kommunalwald" im Deutschen Städte- und Gemeindebund (DStGB) haben am 24. Mai 2012 anlässlich des Symposiums "Zukunft gestalten im Kommunalwald" acht Thesen zur Entwicklung des Kommunalwaldes vorgestellt. Mit ihnen wollen NABU und DStGB auf die Herausforderungen aufmerksam machen, die die Kommunalwälder in naher Zukunft erwarten.

Städte und Gemeinden besitzen rund ein Fünftel der Waldfläche in Deutschland. Der Kommunalwald erfüllt dabei eine Vielzahl verschiedener Funktionen. Er liefert nicht nur entscheidende Rohstoffe und Energieträger für die Energiewende, sondern dient auch der Erholung und der Umsetzung wichtiger Naturschutzziele. Angesichts der wachsenden Herausforderungen und der zunehmenden Verschuldung von Städten und Gemeinden drohen dem Wald- und Naturschutz jedoch entscheidende Einschnitte.

Damit der Spagat zwischen den verschiedenen Ansprüchen an den Kommunalwald gelingen kann, fordern NABU und DStGB sichere Rahmenbedingungen für Kommunen und Waldgebiete und warnen davor, auf Kosten des Waldnaturschutzes zu sparen.

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5. Vernetztes Land für die Energiewende

Der Ende Mai vorgelegte Entwurf für einen bundesweiten Netzentwicklungsplan soll aufzeigen, wo in den nächsten zehn Jahren mehr Strom transportiert werden muss, um die Energiewende zu meistern. Ob Tausende Kilometer neuer Trassen jedoch für ein künftig stärker dezentral ausgerichtetes Stromsystem notwendig sind, bleibt umstritten. Der NABU hält die vorgesehenen 3.800 Kilometer neue Leitungen nicht für alternativlos. Die Politik ist gefordert, auch andere Ausbaustrategien für die Energiewende zu verfolgen. Neben der Senkung des Stromverbrauchs könnte zum Beispiel ein Teil der geplanten Windenergie-Kapazitäten in der Nord- und Ostsee durch den stärkeren Zubau erneuerbarer Energien im Südwesten ersetzt werden.

Erstmalig wurden in dem Entwurf auch Höchstspannungsleitungen in verlustarmer Gleichstromtechnik eingeplant, die sehr effizient den überregionalen Ausgleich von Erzeugung und Verbrauch im Stromnetz leisten können und gleichzeitig die negativen Auswirkungen elektromagnetischer Strahlung verringern. Auch andere innovative Technologien wie die Erdverkabelung sollten bei der weiteren Konkretisierung der Planungen stärker berücksichtigt werden - und zwar überall dort, wo Mensch und Natur durch Freileitungen unzumutbar beeinträchtigt werden. Im Rahmen der nun folgenden öffentlichen Konsultation müssen Netzbetreiber und die Bundesnetzagentur ernsthaft prüfen, wie das Ausmaß insbesondere der neu geplanten Stromtrassen weiter begrenzt werden kann. Denn neue Stromtrassen bedeuten eine enorme Veränderung in der Landschaft und für die Lebensräume bedrohter Tier- und Pflanzenarten. Zudem müssen die Ergebnisse der Strategischen Umweltprüfung abgewartet werden, die die Bundesnetzagentur begleitend zum Verfahren bis Herbst 2012 erstellt.

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6. Einigung über neue Schwefelgrenzwerte für Schiffstreibstoffe in der EU erzielt

Nach knapp einem Jahr Verhandlungen über die "Umsetzung der internationalen Vereinbarungen zur Begrenzung der Luftverschmutzung durch Schiffe" (MARPOL, Anhang VI) in europäisches Recht haben am 22. Mai die Repräsentanten der EU-Mitgliedstaaten die vorläufige Übereinkunft zwischen dem Europäischen Parlament und der dänischen Ratspräsidentschaft bestätigt. Dadurch werden wichtige Vorschriften eingeführt, die zu weniger Luftverschmutzung durch die Schifffahrt auf europäischen Meeren beitragen werden. Zentraler Punkt ist, dass ab 2015 in den sogenannten Schwefelemissions-Kontrollgebieten (SECAs) ausschließlich Treibstoff mit einem maximalen Schwefelgehalt von 0,1 Prozent verwendet werden darf. Das betrifft in Europa bisher allerdings nur die Nord- und Ostsee sowie den Ärmelkanal.

Ganz entscheidend ist für den NABU auch der Schwefel-Grenzwert für Seegebiete außerhalb von SECAs von maximal 0,5 Prozent. Umweltorganisationen hatten seine Einführung bereits ab dem Jahr 2015 gefordert. Er wird aber nun analog zu den Regularien der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation (IMO) erst 2020 kommen - in der EU allerdings unabhängig vom Ergebnis einer erneuten Überprüfung dieses Grenzwertes durch die IMO im Jahr 2018. Dieser Grenzwert wird den Einsatz von saubererem Schiffsdiesel anstelle von Schweröl deutlich erhöhen und damit zur Verbesserung der Luftqualität beitragen - zu Gunsten der menschlichen Gesundheit und des Klimas. Für Passagierschiffe konnten hingegen keine schärferen Grenzwerte durchgesetzt werden, so dass sie vorerst weiterhin dreckigen Treibstoff mit 1,5 Prozent Schwefelgehalt verfahren dürfen, bis die neuen Grenzwerte in Kraft treten. Um den Gesetzgebungsprozess abzuschließen, müssen noch die Umweltminister der EU-Mitgliedstaaten und das Europäische Parlament der Übereinkunft zustimmen.

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NABU-Zahl des Monats Juni: 570 Quadratmeter Landschaftsverbrauch in der Minute

570 Quadratmeter natürliche Landschaft verbrauchen wir jede Minute in Deutschland für den Bau von weiteren Häusern, Straßen und Gewerbegebieten - jede Stunde die Fläche von fünf Fußballfeldern. Kaum vorstellbar: Die acht Spielstätten der Fußball-EM 2012 wären bereits nach dem Eröffnungsspiel zugebaut - und die EM zu Ende. Um gegenzusteuern propagiert die Bundesregierung in ihrer Nachhaltigkeitsstrategie das "30-Hektar-Ziel": Bis 2020 will sie den Flächenverbrauch auf 30 Hektar pro Tag reduzieren - das sind immer noch 208 Quadratmeter pro Minute.

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